Fragen an Angelika v. Aufseß, Autorin & Bloggerin

Vielleicht gehört es zu Euren Vorhaben für das neue Jahr, ein Tagebuch zu beginnen oder nach einer Pause weiterzumachen?

Bei mir ist Letzteres der Fall, denn durch mein Gespräch mit Christian von Notizbuchblog.de, habe ich wieder Lust auf’s Tagebuch schreiben. Eine Rolle dabei spielt auch Angelika von Aufsess, die dort seit 2012 den „Tagebuchdienstag“ betreut. Sie machte es möglich, dass ich das tolle Paket “X17″ bekam (meinen Bericht findet Ihr hier). In diesem Paket ist ihr Buch “Neuerdings schreibe ich an mich selbst” enthalten, das mich immer wieder zum Lesen verführt.

Dialogisches Schreiben: Angelika von Aufseß im Gespräch mit journalistischem Gegenüber

J: Was hat Sie bewogen, dieses Buch zu schreiben?
Ava: Ich schreibe selbst seit vielen Jahren Tagebuch und habe mich oft schon aus Krisen heraus geschrieben. In den letzten Jahren habe ich das Kreative Schreiben mit den Übungen und Experimenten entdeckt. Dabei merkte ich, wie aufregend das Spiel mit dem Stil ist. Es macht jetzt viel mehr Spaß, Gestaltungsräume öffnen sich, ich genieße den Schreibprozess und das Ergebnis. Aus diesen Entdeckungen entwickelte ich zunächst ein Kursangebot und plötzlich war die Idee da: Tagebuchschreiben von A-Z.

J: Wie kamen Sie auf die Zitate?
Ava: Eher zufällig. Mir fiel das wunderbare Buch: „Das Buch der Tagebücher“, ausgewählt von Rainer Wieland, in die Hände. Eine echte Einstiegsdroge. Ab da füllte sich mein Bücherregal mit Tagebüchern fremder Menschen. Mit Tagebüchern von Kafka, Frisch, Plath und vielen anderen.

J: Muss man eigentlich jeden Tag Tagebuch schreiben?
Ava: Absolut nicht. Wäre tägliches Schreiben Pflicht, wären die Liebe und der Spaß vorbei. Kleine Trennungen erhöhen die Freude aufeinander. Darf ich mich selbst zitieren, aus dem Buchstaben A wie Ausdauernd? „Ein paar Tage überspringen, über längere Perioden karg kommunizieren, das tut der Beziehung keinen Abbruch. Ein Tagebuch ist eine großzügige Geliebte. Sie versteht und verzeiht, solange der Wille zur Beziehung vorhanden ist.“

J: Muss man mit der Hand schreiben?
Ava: Kein Muss sondern ein Kann, vor allem aber ein Mag: ich mag gerne mit der Hand schreiben, weil ich in einen anderen Modus komme als beim Tippen. Für mich ist das Notebook in erster Linie Arbeitsmittel und versetzt mich entsprechend in einen zielgerichteten und „vernünftigen“ Zustand. Beim Schreiben mit der Hand gerate ich sehr viel leichter in einen freien, ungeplanten Modus. Ich liebe mein Tagebuch, meinen Füller und reagiere wie ein Pawlowscher Hund auf die beiden Reize: ah, jetzt ist Auszeit, jetzt ist Zeit für mich!

J: Kann man Krisen durch ein Tagebuch verschlimmern?
Ava: Es gibt meines Wissens keine gesicherten Erkenntnisse dazu. Ich sehe durchaus die Gefahr des sich-im-Leid-Suhlens, das sich durch exzessives Schreiben verstärken kann. Wer sich in der Opferrolle häuslich eingerichtet hat oder den Blick vom eigenen Elend nicht lassen kann, wird mit oder ohne Tagebuch diese Situation zementieren. Ich weiß auch, dass in Krisensituationen eine Art Schreibrausch den Blick auf die Krise benebeln kann. Das sind eher die Ausnahmen. Manchmal ist der Schreibzwang eine notwendige Phase, die so lange währt, bis der Tiefpunkt erreicht ist. Dann schreibt man sich wieder raus oder macht eine Pause oder verdichtet seine Erfahrungen in einer lyrischen Form oder in einen Dialog.

J: Welcher erwachsene Mensch führt überhaupt ein Tagebuch? Gehört das nicht eher in die Pubertät?
Ava: Wer Verliebtsein, Pickel, dramatische Stimmungen oder Lebenshunger für ausschließlich pubertäre Erscheinungen hält, wird auch das Tagebuch dazu zählen. Wie traurig …Für alle anderen, die wach durch ihr Leben gehen, die gerne gelegentlich über das Leben im Allgemeinen und im Besonderen nachdenken, die darüber hinaus auch noch Spaß haben am Formulieren, gehört das Tagebuch in jedes Lebensalter. Die Motivation dafür mag sich wandeln, die Notwendigkeit nicht.

J: Wie kommt es überhaupt dazu, dass Menschen zu Tagebuchschreibern werden?
Ava: Über ihren Drang, Beobachtungen schriftlich festzuhalten, Erlebtes zu dokumentieren und zu reflektieren, sagte die amerikanische Autorin Joan Didion in den sechziger Jahren: „Wir Tagebuchschreiber sind ein anderer Menschenschlag (…), Kinder, die anscheinend schon bei ihrer Geburt eine Vorahnung von Verlust befallen hat“.
Ich glaube, dass stabile, ausgeglichene Zeitgenossen mit vollen Terminkalendern, sonnigem Naturell und einer glücklichen Kindheit eher keinen Hang zum Tagebuch verspüren.
Es muss ja nicht jeder Mensch ein Tagebuch führen!

J: Was passiert beim Schreiben mit uns?
Ava: Studien belegen, dass Schreiben hilft. Wobei genau, lässt sich wissenschaftlich (noch) nicht exakt nachweisen. Tagebuchschreiber jedenfalls berichten, dass sie sich selbst damit besser verstehen und dass es ihnen einfach gut tut. Außerdem schult es den schriftlichen Ausdruck, eine überaus wünschenswerte Nebenwirkung…

J: Gibt es Regeln dabei zu beachten?
Ava: Die wichtigste Regel: Regeln über Bord werfen. Wer sich an Normen und Erwartungen orientieren will, hat den Sinn eines Tagebuchs missverstanden. Das Tagebuch ist ein Raum der Möglichkeiten: Wer bin ich? Wie lebe ich mein Leben? Wer ist mein inneres Gegenüber? Was tut mir gut? Was ist mein persönlicher Tagebuchstil? Und zwar meiner, nicht der von anderen.Eher als Empfehlung denn als Regel: jeden Eintrag mit Datum versehen. Regelmäßig Einträge machen, egal wie kurz oder lang.

J: Darf man das Tagebuch eigentlich an-lügen?
Ava: Ja, weil alles erlaubt ist. Es gibt eine wunderbare Technik aus dem kreativen Schreiben: sich einen Tag schön lügen. Ich schreibe mir ganz bewusst – im Stile Münchhausens – einen Tag so zusammen, wie er hätte sein sollen. Schon hebt sich die Stimmung und ich kann daraus lernen, was ich am nächsten Tag anders machen will.
Ansonsten empfiehlt sich Ehrlichkeit gegenüber sich selbst. Wo sonst kann ich mich so zeigen wie ich bin?!

J: Wie viel Zeit brauche ich am Tag fürs Tagebuch-Schreiben?
So viel, wie mir gut tut. Vom 2-Minuten-Eintrag bis zum Stundeneintrag. Was zählt, ist, dass mein Kontaktfaden mit dem „Lebensbegleiter“ nicht abreißt.

J: Ist das spätere Lesen der eigenen Zeilen genauso wichtig, wie das Schreiben?
Ava: Wiederlesen ist wichtiger Bestandteil des Vergnügens. Wer möchte nicht in seinem eigenen Leben blättern können?!

J: Brauche ich eine Struktur oder einen festen Rhythmus für das Schreiben?
Ava: Für den Anfang mag es gut sein, sich feste Zeiten, einen bestimmten Ort und die Zutaten wie Tee, Kerze, Füller etc. einzurichten. Im Laufe der Zeit entwickeln sich Rituale von ganz alleine. Ich schreibe zum Beispiel sehr gerne im Zug oder im Café.

Angelikas Webseite

Die Notizbücher, Kalender und andere Dinge zum Schreiben findet Ihr auf der Seite von X17. Vielleicht findet Ihr ein schönes Weihnachtsgeschenk.

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