25 Jahre Mauerfall

Kaum zu glauben, dass 25 Jahre seit dem Fall der Mauer vergangen sind. Es wird viel darüber berichtet, die Krönung ist im Moment Helmut Kohl, der mit seinen Äußerungen die Verachtung zeigt, die er anscheinend politisch-andersdenkenden oder Bürgern aus Ostdeutschland empfindet. Wie kann man nur.

Ich habe in der letzten Woche einen interessanten Radiobeitrag auf Deutschlandradio Kultur gehört, der sehr gut meine Erinnerungen an diese Zeit widerspiegelt und auch die verpassten Chancen aufzeigt. Wer den Beitrag hören möchte – hier klicken. 
Hier der Text zum Lesen (copyright DLR Kultur/Thilo Schmidt)

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Die verschenkte Revolution

Der Journalist Thilo Schmidt bedauert, dass es keinen gesamtdeutschen Neuanfang gab

Von Thilo Schmidt

Jetzt halten sie wieder große Reden und sprechen von den Helden der „friedlichen Revolution“. Von ihrem Mut, sich der Staatsmacht entgegengestellt zu haben. Von den Freudentränen, die den Brüdern in Ost und West hinuntergelaufen sind, als sich der Eiserne Vorhang öffnete.

Ja, es war ein wirklicher Aufbruch, als das Volk seine Sprache wiederfand, den Schritt auf die Straße tat. An vielen Runden Tischen im ganzen Land und am Zentralen Runden Tisch in Berlin den Dialog übte, auch den Dialog mit den alten Machthabern.

Doch was wurde aus diesem Aufbruch?

Die Versprechungen von schnellem Wohlstand
Helmut Kohl erkaufte sich seine Wiederwahl mit der schnellen Einführung der D-Mark. Bei der ersten freien Volkskammerwahl machten die Versprechungen von schnellem Wohlstand die „Allianz für Deutschland“ zum Sieger, angeführt von der Ost-CDU, die über Nacht von einer systemgetreuen Blockpartei zu einer Oppositionsgruppe wurde. Eine ähnliche Metamorphose vollzogen die Liberalen in der DDR. Die Oppositionsgruppen dagegen, ohne die es diese freie Wahl niemals gegeben hätte, gingen unter im schwarz-rot-goldenen Wahlkampfgesang. Die Beute wurde aufgeteilt.

Es hätte ein Aufbruch sein können, ein Neuanfang, getragen von den Erfahrungen beider Länder. Mit einer Umweltpolitik, wie sie die sozialen Bewegungen im Westen geprobt hatten. Mit einer politischen Kultur, wie sie im Osten am Runden Tisch gelebt wurde. Die Bürger der DDR hätten ihr Volkseigentum behalten können. Es gehörte ihnen. Alles gehört allen. Unerhört! Aber alles war plötzlich nichts mehr wert.

Nicht die Biografien der Menschen. Nicht die Ruinen, in denen sie an völlig überalterten Maschinen ihr Bestes gegeben haben: nichts mehr wert.

Niedergemacht von West-Konkurrenten
Der erste FCKW-freie Foron-Kühlschrank, in der Wendezeit im Erzgebirge entwickelt, aber von den großen West-Konkurrenten niedergemacht: nichts mehr wert. Dass heute alle Kühlschränke der Welt nach dem Prinzip funktionieren, wie es der „VEB Deutsche Kühl- und Kraftmaschinen“ entwickelt hat – eine Randnotiz.

Das Kali-Bergwerk in Bischofferode: nichts mehr wert, die westdeutsche „Kali und Salz AG“ machte Bischofferode dicht. 50 weitere Jahre hätte es noch wirtschaftlich betrieben werden können, aber das Aus war längst beschlossen – in einem Geheimpapier zwischen Treuhand und „Kali und Salz“, das erst 2014 öffentlich wurde. Der Konzern konnte demnach horrende Verluste auf die Treuhand, also den Steuerzahler abwälzen. Und das Land Thüringen zahlt bis heute für die Folgekosten des Bergbaus.

Die Gewinne werden privatisiert, die Verluste sozialisiert. Das gilt auch für die Leuna-Raffinerie. Dutzende Millionen Euro Schmiergelder sind geflossen, das ist sicher. An bundesdeutsche Politiker, wird gemutmaßt. In Leuna verlieren Tausende ihren Arbeitsplatz, das ist die Realität. Aber es geht ja allen besser, heutzutage! Geht es das wirklich? Warum sind im Osten immer noch deutlich mehr Menschen ohne Arbeit? Warum bekommen sie weniger Lohn und weniger Rente?

Keine gesamtdeutsche, neue Verfassung
Und viel bedauernswerter: Warum konnte kein Deutschland – ob Bundesstaat oder Föderation – entstehen, das auf die Erfahrungen beider deutscher Staaten aufbaut? Eine gesamtdeutsche, neue Verfassung. Nicht ein Blick wurde getan in den Verfassungsentwurf des Runden Tisches! Auch der Westen hätte eine Neuordnung gut vertragen. Eine Föderalismusreform, verspielt. Eine Neuordnung auch der West-Länder, verspielt. Betriebe in Arbeitnehmerhand! Im Osten hätte man zeigen können, dass es geht. Aber das Volk wurde enteignet.

Und wer heute meint, die Ostdeutschen waren es doch, die möglichst schnell nach Westgeld, Bananen und „Bild“-Zeitung verlangten, der mache sich bitte klar, dass Politik über den Tag hinaus zu denken hat. Der Phantomschmerz, den die Aberkennung der DDR-Biografien verursacht, wird unsere Gesellschaft noch viel länger beschäftigen.

Der Text stammt von der Webseite des Deutschlandradio Kultur.

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